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Mehrere weiße Ordner übereinander

Die DGUV und ihre Vorschriften – Joachim Bicheler im Interview

Autorin: Lisa Maria Stöbich

In vielen Betrieben begeben sich Arbeiter:innen täglich in gefährliche Situationen. Oft ist ihnen dieses Verhalten gar nicht bewusst. Ungesichert auf Höhen zu arbeiten oder ohne ausreichende Belüftung zu schleifen sind nur zwei mögliche Handlungen, die auf lange Sicht zu Unfällen oder gesundheitlichen Problemen führen können.


Die DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) sorgt dafür, dass Angestellte in Betrieben sicherer arbeiten und Unfälle und Verletzungen verhindert werden.


Doch was genau ist die DGUV und wie sorgt sie für mehr Schutz für Arbeiter:innen? Erfahren Sie hier, für welche Aufgabenbereiche sie zuständig ist, welche Vorschriften und Regeln es gibt, und was das für Sie als Unternehmer:in bedeutet.

Was ist die DGUV?

Die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung ist sozusagen der Dachverband der 27 verbundenen Unfallkassen und 9 Berufsgenossenschaften Deutschlands. Dabei ist die DGUV verpflichtend für alle Unternehmen mit mindestens einem:r Angestellten. Sie steht eng mit dem deutschen Arbeitsschutzgesetz in Verbindung und ist legal bindend. 


Sicherheitsingenieur Joachim Bicheler des ASZ (Arbeitsmedizinisches und Sicherheitstechnisches Zentrum) äußert sich bei uns im Interview: “Was im privaten Bereich die gesetzliche Krankenversicherung ist, ist im betrieblichen Bereich die Berufsgenossenschaft als Versicherungsträger”. Die Genossenschaften mit ihrem Dachverband, der DGUV, haben nun laut Sozialgesetzbuch das Recht, “Vorschriften zu erlassen, die wiederum Gesetzescharakter haben”, so Bicheler.

Die Aufgaben der DGUV   

Die Unfallversicherung ist für drei große Aufgabengebiete zuständig: Prävention, Rehabilitation und Entschädigung.

  • Prävention: Durch Sicherheitsmaßnahmen soll dafür gesorgt werden, dass Arbeitsunfälle sowie Berufskrankheiten und Gefahren für die Gesundheit verhindert werden. Auch die Erste Hilfe fällt in diesen Bereich.
  • Rehabilitation: Sie greift dann ein, wenn Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten stattgefunden haben. Eine umfassende medizinische Versorgung soll die Gesundheit der Betroffenen wiederherstellen. Auch werden im Zuge der Rehabilitation die Betroffenen wieder in die berufliche bzw. soziale Gesellschaft eingegliedert. 
  • Entschädigung: Kommt es zu Unfällen oder Berufskrankheiten, so sorgt die DGUV auch dafür, dass die Betroffenen entsprechend entschädigt werden. Dies geschieht mithilfe von Verletztengeld oder in schwerwiegenden Fällen auch durch die Auszahlung einer Rente. 

DGUV Vorschriften

Bei den Vorschriften und Regeln zum Schutz von Arbeitnehmer:innen gibt es, Bicheler zufolge, verschiedene Abstufungen. Vorschriften haben besonders bindenden Charakter, sind aber nicht sehr konkret gestaltet. Eine Vorschrift legt etwa fest, dass Betriebe für Schutz vor Absturzgefahr sorgen müssen. Auf nächster Ebene gibt es dann weiterführende Regeln und Informationen. Diese sind weniger bindend als die Vorschriften, dafür aber konkreter. Hier ist zum Beispiel festgelegt, wie der Schutz vor Absturzgefahr aussehen kann. Es kann insbesondere ein Geländer mit einer bestimmten Höhe, oder eine Anseilpflicht vorgeschlagen werden.


Wie genau die Regeln und Vorschriften aussehen, ist dabei, Bicheler zufolge, von Branche zu Branche unterschiedlich. Während es Übervorschriften gibt, die für alle Betriebe gültig sind, regeln Untervorschriften branchenabhängige Regeln. So legt die DGUV spezifische Anforderungen für Bereiche wie Metallbearbeitung, Holzbereich oder Verwaltungsbereich fest. In diesen, wie in anderen Branchen, müssen die Vorschriften entsprechend an die Gefahren angepasst werden. 


Während das staatliche Arbeitsschutzgesetz für alle Betriebe gilt, gibt es für die verschiedenen Branchen unterschiedliche Berufsgenossenschaften, wie  eine für Rohstoffe und chemische Industrie, eine für Verwaltung oder eine für Holz und Metall. Diese wiederum erstellen unterschiedliche Berufsgenossenschaftsvorschriften.  

Was passiert bei Nichteinhaltung der DGUV Gesetze?

Kommt es in einem Betrieb zu einem Unfall, wird evaluiert, ob alle notwendigen Schutzmaßnahmen eingehalten wurden. Ist dies nicht der Fall, dann wird dem:r Arbeitgeber:in ein “Organisationsverschulden” unterstellt. Bei schweren Unfällen kann dies nicht nur einen tödlichen Ausgang haben, sondern auch schwerwiegende rechtliche Konsequenzen für die Arbeitgeber:in nach sich ziehen. 


Auch ohne Unfälle kann es zu Kontrollen kommen. Diese geschehen entweder aufseiten des staatlichen Arbeitsschutzrechts mithilfe der zuständigen Bezirksregierung, oder andererseits der Berufsgenossenschaften. Aufseher:innen können hier unangekündigt den Betrieb auf Sicherheitsmaßnahmen überprüfen und bei deren Nichteinhaltung Auflagen bestimmen. Wurden diese nach einer bestimmten Frist nicht umgesetzt, drohen Geldstrafen. 


Nach Bicheler kommt seit dem Regierungswechsel immer wieder auf, dass das Arbeitsschutzrecht nicht zur Genüge überprüft wird. Laut Gesetz sollen innerhalb von 3 Jahren 5 % der deutschen Betriebe überprüft werden. Insgesamt gibt es sowohl beim Staat, als auch bei den Berufsgenossenschaften zu wenige Aufseher:innen und Kontrollen erfolgen sporadisch. So kann es gerade bei kleineren bis mittelständischen Betrieben vorkommen, dass über 10 Jahre lang keine Kontrolle erfolgt, überspitzt formuliert.

Aktualisierung der Vorschriften

Die Gesetze der DGUV bleiben nicht konstant, sondern ändern sich im Laufe der Zeit. Bicheler betont: “Also generell orientieren sich solche Vorschriften, Regeln immer am sogenannten Stand der Technik, oder Stand der Wissenschaft und Technik. Und wenn da neue Erkenntnisse gewonnen werden, spiegelt sich das im Laufe der Jahre auch in Vorschriften wider”. So könnten unter anderem Sägeblätter, die menschliche Finger von Holz unterscheiden können, Pflicht werden, sobald sie leistbar und umsetzbar werden. 


Als wichtige Neuerung nennt der Sicherheitsingenieur das Mutterschutzgesetz von 2018. Dieses legt fest, dass jede:r Arbeitgeber:in den Betrieb auf die Sicherheit für Schwangere überprüfen muss. Auch bei der Anwendung von Leitern in Bezug auf die Höhe und Dauer der Verwendung traten 2018 Neuerungen in Kraft. Ein neuer Staubgrenzwert soll die Angestellten vorwiegend in Bereichen wie dem Schweißen schützen.


Auch mit der Corona-Arbeitsschutzverordnung kamen neue Gesetze auf. Diese betrafen Regulierungen zu betrieblichen Covid-Tests, Impfungen, Home-Office oder Zugangsbeschränkungen. Spannend ist bei den Neuerungen, laut Bicheler, einzuschätzen: “Wie wichtig ist das Thema, und wie dringend?”

Für wen sind Unfallverhütungsvorschriften verbindlich und welche Pflichten haben Arbeitgeber:innen?

Diese Vorschriften betreffen alle Unternehmer:innen, sobald sie in ihrem Betrieb mindestens eine Person anstellen. Ab diesem Zeitpunkt müssen sie sich um die Einhaltung der DGUV Gesetze kümmern. Ein wichtiger Schritt hierbei ist die Gefährdungsbeurteilung. Nach Arbeitsschutzrecht müssen bei ihr Gefahren des Betriebes ermittelt, und Schutzmaßnahmen dagegen festgelegt werden. Diese Beurteilung muss schriftlich festgehalten werden.


Die Verantwortung über Sicherheit in Betrieben zu übernehmen, bedeutet beim technischen Arbeitsschutz auch, die Betriebssicherheitsverordnung aufrechtzuerhalten. Teil davon ist der Einsatz von Maschinen und Anlagen nach EU-Norm. Anlagen oder Maschinen ohne CE-Zeichen, die oft von außerhalb Europas kommen, dürfen nicht angewendet werden.


Um zugelassene Maschinen zu kaufen, und diese auch korrekt instand zu halten, muss ein Arbeitsmittelverzeichnis bzw. Wartungsplan angelegt werden. Hier werden insbesondere Vorgaben und Fristen zur Prüfung der Maschinen festgelegt. Hilfestellung bei solchen Themen kann eine sicherheitstechnische Beratung leisten. Die ASZ kümmert sich zum Beispiel darum.


Auch die Unterweisung der Mitarbeiter:innen ist wichtig. Bicheler betont: “Das Schutzgesetz legt fest, dass ich vor Arbeitsaufnahme meine Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutzmaßnahmen unterweisen muss”. Mindestens einmal im Jahr muss entweder schriftlich oder mündlich und tätigkeitsbezogen unterwiesen werden. Bei Jugendlichen unter 18 Jahren muss dies sogar jedes halbe Jahr geschehen. Die Unterweisungen müssen darüber hinaus auch protokolliert werden. 


Der:die Arbeitgeber:in ist dafür verantwortlich, dass die Angestellten unterwiesen werden, können diese Aufgabe jedoch an Dritte weitergeben. Im Bereich der allgemeinen Arbeitsschutzthemen übernimmt oft die ASZ Unterweisungen, an den Maschinen und Anlagen dagegen unterweisen in der Regel Vorarbeiter:innen.

Sicher in den Arbeitsalltag

Bei den Angestellten für ein Gefahrenbewusstsein zu sorgen, ist, Bicheler zufolge, eine der wichtigsten Aufgaben von Unternehmer:innen. Denn viele gefährliche Handlungen werden von den Arbeiter:innen oft gar nicht als solche wahrgenommen. Mit dem Bewusstsein über notwendige Sicherung können etwa lebensgefährliche Stürze verhindert werden. Ausreichende Belüftung beim Schweißen kann langfristige Schäden und Erkrankungen wie Krebs verhindern. Das Informieren über mögliche negative Folgen und sichere Alternativen ist also der erste Schritt in ein sicheres Arbeitsumfeld.  



Titelbild von Beatriz Perez Moya.

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